Deutschland im Zugzwang: Gas-Embargo wegen des Ukraine-Kriegs oder die Industrie am Laufen halten?


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  • Erstellt: 06.04.2022, 09:09 Uhr

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    Ganze Industriekomplexe, wie das BASF-Stammwerk in Ludwigshafen, sind auf Erdgas angewiesen. Hier werden oftmals Grundstoffe für andere Industrien hergestellt. © Uwe Anspach/dpa

    Die Forderungen nach einem Boykott von russischem Erdgas werden immer lauter. Gleichzeitig warnt die Wirtschaft, denn der Rohstoff ist ein wichtiger Schmierstoff der Industrie.

    München â€" In der sechsten Woche des Ukraine-Kriegs wird wieder über ein Energieembargo des Westens gegen Angreifer Russland diskutiert. Und wieder schrecken die Staaten, vor allem Deutschland, davor zurück. Denn die Bundesrepublik versucht, sich im Eiltempo von russischen Kohle-, Öl- und Gaslieferungen unabhängig zu machen. Aber gerade beim Gas ist das schwierig. Kommt es nicht mehr, fehlt manchem Unternehmen die Energie und der chemischen Industrie ein wichtiger Rohstoff für Produkte, die in anderen Branchen dringend nötig sind.

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    „Mit einem kurzfristig einsetzenden und länger anhaltenden Lieferausfall würden sich spätestens im Herbst Versorgungsengpässe einstellen, die auch unseren Industriezweig massiv treffen“, sagt Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der chemischen Industrie. Denn: „Stottert es in der Chemie oder fällt sie sogar ganz aus, wird es in den Werkshallen anderer Industriezweige sehr ruhig und die Fließbänder stehen still.“ Große Entrup nennt als betroffene Branchen Landwirtschaft, Ernährung, Automobil, Kosmetik und Hygiene, Bauwesen, Pharma sowie Elektronik. Zudem liefert die deutsche Chemieindustrie viel an Firmen im Ausland â€" chemische Erzeugnisse sind nach Autos und Maschinen das wichtigste Exportgut.

    Erdgas enthält Methan. Daraus wird unter anderem Ammoniak hergestellt. Die Kapazität in Deutschland beträgt 2,5 Millionen Tonnen, eine der wichtigsten Grundchemikalien überhaupt. Es ist Grundstoff unter anderem für Dünger, Lösemittel und Medikamente. Es steckt in Tierfutter und Lebensmitteln. Ammoniak ist auch für AdBlue nötig, jenen Zuschlagstoff, der die Abgase von Dieselfahrzeugen reinigt. Erdgas ist auch Basis für Acetylen. Es wird in Arzneimitteln und für hochelastische Textilfasern genutzt, in Lacken, Folien, Schläuchen. Und als Kleber: Ohne Acetylen wären Autoreifen auch nicht so belastbar. Denn aus ihm werden Zuschlagstoffe hergestellt, mit denen das Material besonders gut zusammenhält.

    BASF muss seinen Hauptsitz schließen, sollte die Gasversorgung unter 50 Prozent fallen

    Wer auf einer Mehrzonen-Matratze schläft, hat die erholsamen nächtlichen Stunden auch Erdgas-Produkten zu verdanken: Polyurethanen, ein weiterer Stoff aus Erdgas. Die Schaumstoffe werden nicht nur in Matratzen verwendet: Sie isolieren auch Gebäude, sind in Autositzen verarbeitet. Mit dem Material sind unter anderem Böden und Möbel beschichtet sowie künstliche Sportbahnen. Polyurethane finden sich auch in Joggingschuhen und in Rollschuhrädern. Ein sehr bekanntes Produkt, für das Erdgas der Grundstoff ist, ist Acryl, chemisch Polymethylmethacrylat. Eingesetzt wird es unter anderem als transparenter Glasersatz, in der Medizintechnik, für Straßenschilder, Badewannen.

    Ein Vorprodukt des Acryls, das Methylmethacrylat, nutzen Chirurgen als Zement unter anderem bei Hüft- oder Knieoperationen. Auch Zahnärzte vertrauen auf das Material. Produkte aus Erdgas stecken in Lacken und werden Sprit beigemischt, um mehr Leistung aus ihm herauszuholen und den Schadstoffausstoß zu verringern. Viele Erdgasprodukte wie Formaldehyd sind für andere chemische Prozesse wichtig. Weil die Produktion aufwendig ist und im Verbund alles miteinander zusammenhängt, können einzelne Anlagenteile nicht beliebig abgeschaltet werden. Der Chemie-Riese BASF hat berechnet, dass der Standort Ludwigshafen mit 39.000 Mitarbeitern abgeschaltet werden muss, wenn die Gasversorgung unter 50 Prozent fällt.

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