Es mutet an wie David gegen Goliath: Binnen Stunden hat sich ein Video via Facebook in den sozialen Netzwerken verbreitet und weltweit für Aufsehen gesorgt. Es zeigt, wie eine Gruppe junger ukrainischer Optisegler im Hafen von Bodrum in der Türkei versucht, eine millionenschwere Yacht am Anlegen zu hindern. Mit einem schier winzigen Dingi manövrieren sie unmittelbar vor dem Bug des riesigen Schiffs, das dem russischen Oligarchen Roman Abramovich gehören soll.
Die ukrainischen Optisegler zeigen dabei – einmal mehr – unerschrocken Flagge. Auf ihrer großen blau-gelben Fahne, die sie im Dingi mit sich führen, steht in großen Lettern "NO WAR". Dieselbe Fahne hatten sie schon Wochen zuvor gezeigt, als sie Mitte Februar in einem Trainingscamp in Valencia von der Nachricht überrascht wurden, dass ihre Heimat heimtückisch von Russland überfallen worden war. An den nachfolgenden Tagen auf der Regattabahn setzen sie erstmals auf ihren Optis die "NO WAR"-Fahne.

Optimist Team Ukraine
Optimist Team Ukraine "NO WAR" – Opti-Segler aus der Ukraine im Febraur vor Valencia. Kurz zuvor hatten sie vom Überfall Russlands auf ihre Heimat erfahren
Die Segler aus der Ukraine, acht Jungen und Mädchen im Alter von 9 bis 18 Jahren mit ihrem Trainer Pavlo Dontsov sowie einem Betreuerpaar waren zur Zeit des Kriegsausbruchs auf Trainingsreise durch Europa. Die Eltern der Kinder baten den Trainer, nicht in die Ukraine zurückzukehren. Daher setzte die Gruppe ihre Reise wie ursprünglich geplant fort – verzichtete aber auf die ursprünglich ebenfalls beabsichtigten Heimflüge zwischen den einzelnen Trainingsstationen. Seit einiger Zeit hält sich die Gruppe nun in der Türkei auf, um dort an Regatten teilzunehmen, die zur Vorbereitung auf die dort später im Jahr anstehende Opti-WM abgehalten werden.
Dem Sender SkyNews, der ebenfalls über die Protestaktion berichtet, gab Pavlo Dontsov ein Interview, wie er und seine Opti-Kids von der Ankunft der Oligarchen-Yacht erfahren hatten und warum sie sich dann zu der nicht ungefährlichen Aktion entschlossen haben.
Der Optitrainer bei Sky News
Die YACHT hatte bereits vergangene Woche Gelegenheit, ein ausführliches Gespräch mit dem 28-jährigen Ukrainer zu führen. Darin berichtete er über die Verzweifelung der Kinder und Jugendlichen, als sie vom Kriegsausbruch erfuhren, aber auch von ihrem Mut und ihrer Tapferkeit, mit der sie sich entschlossen, weiterzumachen – und Flagge zu zeigen.
Das Interview, das auch in der übernächsten YACHT 8/2022 zu lesen sein wird, hat YACHT-Autorin Tatjana Pokorny mit Pavlo Dontsov geführt. Wir veröffentlichen es hier angesichts der akutellen Ereignisse vorab:
"Der Wahnsinn in unserer Heimat muss aufhören!"Interview mit Pavlo Dontsov, Trainer einer ukrainischen Opti-Segler-Gruppe, die sich derzeit in der Türkei aufhält.

Optimist Team Ukraine
Optimist Team Ukraine Pavlo Dontsov
Pavlo, wie habt ihr vom Krieg erfahren?
Das war in der Nacht auf den 24. Februar. Wir waren in Valencia, haben uns dort auf eine Regatta vorbereitet. Wir erfuhren es aus den Messenger-Gruppen, die wir mit den Familien haben.
Wie groß war der Schock in eurer Gruppe?
Es ist schwer, unsere Gedanken dazu in Worte zu fassen. Es war so unerwartet, es ist so schrecklich!
Wie haben die Kinder und Jugendlichen die Nachricht aufgenommen?
Mit Angst und Sorgen. Einige Familien wie auch meine Eltern leben in der Region von Odessa, wo es etwas ruhiger ist. Andere aber stammen aus Kiew, sie befanden oder befinden sich noch in dramatischen Situationen. Die Kinder können zum Glück manchmal mit ihren Eltern telefonieren.
Wie haben die Eltern in der Ukraine reagiert?
Sie haben mich gebeten, nicht mit den Kindern zurückzukommen. Wir trainieren also, so viel wir können. Du kannst zwar nie vergessen, was in der Heimat passiert, aber du kannst den Fokus auf die Arbeit, den Sport legen. Das macht es etwas leichter.
Ihr jüngstes Teammitglied ist erst neun Jahre alt?
Ja, das ist Ahnieshka Madonich. Ihre Eltern sind bei uns, der Vater ist unser Teamchef, die Mutter kümmert sich um die Verpflegung. Sie sind jetzt die Eltern für alle. Das Beste, was wir tun können, ist weiterzumachen und unsere Flagge zu zeigen.
Erhaltet ihr Unterstützung?
Nicht nur die internationale Opti-Familie ist bei uns. Wir haben wundervolle Hilfe von der ganzen Segelgemeinschaft. Gintare Scheidt hat eine Spendensammlung initiiert, weil uns das Geld ausgegangen ist. Da haben so viele Menschen auch aus Deutschland geholfen, denen wir dankbar sind. Der Präsident der deutschen Opti-Vereinigung hat uns Hilfe angeboten. Die Clubs bei den Regatten vor Ort helfen uns mit Unterkünften, ob in Torbole am Gardasee oder jetzt hier der Verein in Bodrum.
Wie geht es den Kindern momentan?
Es ist sehr wichtig für sie zu wissen, dass sie nicht allein sind. Das tut ihnen gut. Der Sport tut ihnen gut. Wir hissen bei Opti-Regatten ja oft Flaggen. Jetzt aber sehe ich die Kinder das mit noch mehr Stolz als sonst machen. Sie fühlen sich als Teil eines großartigen Landes. Wir haben uns in „Optimist Team Ukraine" umbenannt. Wir sind nicht die Nationalmannschaft, auch wenn einige Mitglieder bei uns sind. Aber wir fühlen so. Alle sollen das wissen!
Was sind nun eure Pläne?
Wir planen von Tag zu Tag. Ich selbst fühle mich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, in die Ukraine zurückzukehren und bei der Verteidigung unserer Heimat zu helfen und der Verantwortung für die Kinder hier.
Was wünscht du dir gerade am meisten?
Dass der Wahnsinn in unserer Heimat aufhört! Dass alle Kinder ihre Eltern wiedersehen, frei atmen und sich von diesem Alptraum erholen können. Für unser Team hoffe ich, dass wir die Ukraine auch fern der Heimat stolz machen und für ein freies europäisches Land stehen können.
Interview: Tatjana Pokorny
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