21. April 2022, aktualisiert 21. April 2022, 10:43 Uhr
Russlands Truppen setzen ihr Bombardement von Städten in der Ukraine weiter fort. Nun sollen die russischen Streitkräfte die umkämpfte Hafenstadt Mariupol eingenommen haben. Die Lage im Ãberblick.
Das russische Militär hat nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu die umkämpfte südostukrainische Hafenstadt Mariupol unter seine Kontrolle gebracht. Das teilte Schoigu am Donnerstag bei einem mit Kremlchef Wladimir Putin im Staatsfernsehen übertragenen Treffen mit. âDie verbliebenen ukrainischen Kampfeinheiten haben sich auf dem Industriegelände der Fabrik Azovstal verschanztâ, sagte Schoigu. Präsident Putin ordnete an, das Stahlwerk nicht zu stürmen. Ein entsprechender Befehl solle zurückgenommen werden. Die Kämpfer in den Katakomben sollten die Waffen niederlegen. âDie russische Seite garantiert ihnen das Lebenâ, sagte Putin. Er sprach von einem Erfolg und der âBefreiung Mariupolsâ und ordnete an, die beteiligten Militärs auszuzeichnen. âSie sind alle Heldenâ, sagte Putin.
Nach Darstellung Schoigus sind die ukrainischen Einheiten vollständig blockiert. Der Minister sagte, dass die Fabrik in drei bis vier Tagen ebenfalls eingenommen werden solle. Dort seien auch ausländische Söldner. Ãber die angebotenen humanitären Korridore habe niemand das Werk verlassen, sagte der Minister. Zuvor hatte die ukrainische Seite Verhandlungen vorgeschlagen über das Schicksal der Kämpfer und die Rettung von Zivilisten, die in dem Werk Zuflucht gesucht hätten.
Schoigu teilte zudem mit, dass die Stadt stark vermint sei. âAlle wichtigen Objekte der städtischen Infrastruktur, darunter auch der Seehafen und das Fahrwasser wurden nicht nur vermint, sondern auch noch blockiert durch Schwimmkräneâ, sagte er. Vielen ausländischen Schiffen sei dadurch die Ausfahrt verwehrt worden.
Ukrainische Städte weiter unter Beschuss
Russische Truppen stoÃen in der Ukraine weiter vor, die befürchtete GroÃoffensive könnte jedoch erst noch bevorstehen. In der Nacht zum Donnerstag gab es aus mehreren ukrainischen Städten Meldungen über russischen Beschuss. Entlang der gesamten Front in den Gebieten Donezk, Luhansk und Charkiw griffen die Russen zwar seit Dienstag an, sagte der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, in einem Radio-Interview. Es handele sich aber wahrscheinlich erst um âProbeangriffeâ.
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Der GroÃteil von Luhansk ist allerdings nach ukrainischen Angaben bereits unter russischer Kontrolle. Auch das Stahlwerk Asowstal in der umkämpften Hafenstadt Mariupol wird nach Einschätzung des Anführers der russischen Teilrepublik Tschetschenien noch am Donnerstag an die Russen fallen.
Nach langem Bitten um mehr und schwere Waffen sieht der ukrainische Präsident nun mehr Verständnis bei Partnerländern. Sie verstünden nun, welche Waffen die Ukraine brauche und zwar möglichst jetzt, sagte Wolodymyr Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft in der Nacht zum Donnerstag. Auch Deutschland war lange Zögerlichkeit vorgeworfen worden.
Letztes Ultimatum für Menschen in Mariupol?
Russischen Angaben zufolge befinden sich noch rund 2500 ukrainische Kämpfer und ausländische Söldner im Stahlwerk Asowstal. Ukrainischen Mitteilungen zufolge sollen dort zudem rund 1000 Zivilisten Schutz gesucht haben. âHeute vor oder nach dem Mittagessen wird Asowstal vollständig unter Kontrolle der russischen Streitkräfte seinâ, erklärte der tschetschnische Anführer Ramsan Kadyrow, dessen Einheiten in der Ukraine kämpfen, in der Nacht zum Donnerstag. Die in dem Stahlwerk verbliebenen ukrainischen Kämpfer hätten am Morgen noch die Möglichkeit, sich zu ergeben. Täten sie dies, sei er sicher, dass die russische Führung âdie richtige Entscheidungâ treffen werde.
Am Mittwochabend hatten zwei Vertreter der ukrainischen Delegation bei den Gesprächen mit Russland ihre Bereitschaft erklärt, für Verhandlungen über die Evakuierung der Kämpfer und Zivilisten aus dem Stahlwerk nach Mariupol zu kommen. Zuvor hatte der Kommandeur der verbliebenen Marineinfanteristen um eine Evakuierung seiner Kämpfer in einen Drittstaat gebeten. Eine Rettung von Zivilisten war am Mittwoch ukrainischen Angaben zufolge abermals gescheitert.
Luhansk weitgehend unter russischer Kontrolle
Nach dem Abzug der ukrainischen Truppen aus der Kleinstadt Krimenna kontrollierten russische Einheiten nun 80 Prozent des Gebietes Luhansk, teilte der Gouverneur der Region, Serhij Hajdaj, am Mittwochabend auf Telegram mit. Auch die Städte Rubischne und Popasna in Luhansk seien mittlerweile âteilweiseâ unter russischer Kontrolle. Um diese gibt es seit Wochen intensive Kämpfe. Der Beschuss habe auch hier zugenommen. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges vor rund acht Wochen hatten die Separatisten der âVolksrepublikâ Luhansk noch rund 30 Prozent der Region unter ihrer Kontrolle gehabt.
Unklarheit über Beginn der russischen GroÃoffensive
Ob mit den Kämpfen im Osten des Landes jedoch schon die erwartete GroÃoffensive der Russen begonnen hat, war unklar. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zwar bereits am Montagabend erklärt, dass âdie Schlacht um den Donbassâ begonnen habe. Nach Einschätzung des Sekretärs seines Sicherheitsrates ist das jedoch noch nicht der Fall. Es sei aber nur eine Frage der Zeit. Am Dienstag hatte auch das US-Verteidigungsministerium erklärt, es sehe die jüngsten russischen Angriffe nur als Vorzeichen einer gröÃeren Offensive Moskaus. Der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrates warnte davor, zu denken, die Kämpfe um den Donbass würden die letzte Schlacht sein. âIch wäre nicht so optimistisch, es können jede Menge verschiedene Dinge noch vor uns liegenâ, erklärte Danilow.
Weitere Massengräber vor Kiew
Unterdessen sind im Kiewer Vorort Borodjanka nach ukrainischen Angaben zwei weitere Massengräber entdeckt worden. Darin hätten sich insgesamt neun Leichen von Zivilisten, Männer wie Frauen, befunden, teilte Andrij Nebitow von der Polizei der Hauptstadtregion in der Nacht zum Donnerstag auf Facebook mit. Einige von ihnen hätten Folterspuren aufgewiesen. Borodjanka gehört zu den am stärksten zerstörten Städten in der Hauptstadtregion. Aus der Stadt wurden Gräueltaten der mittlerweile abgezogenen russischen Einheiten gemeldet. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Selenskyj: Partner verstehen Notwendigkeit an Waffen
Nach Tagen eindringlichen Bittens um mehr und schwere Waffen sieht Selenskyj mehr Verständnis bei Partnerländern der Ukraine aufkommen. Er könne mit âvorsichtigem Optimismusâ sagen, dass die Partner Kiews âsich unserer Bedürfnisse bewusster geworden sindâ, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videobotschaft in der Nacht zum Donnerstag.
Auch Deutschland, vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), war tagelang Zögerlichkeit bei der Lieferung schwerer Waffen vorgeworfen worden. Am Dienstagabend hatte Scholz dann die weitere Strategie vorgestellt: Demnach finanziert die Bundesregierung direkte Rüstungslieferungen der Industrie an die Ukraine.
Seit Kriegsbeginn hat das Land von Deutschland gut 2500 Luftabwehrraketen, 900 Panzerfäuste mit 3000 Schuss Munition, 100 Maschinengewehre und 15 Bunkerfäuste mit 50 Raketen erhalten. Zudem 100 000 Handgranaten, 2000 Minen, rund 5300 Sprengladungen sowie mehr als 16 Millionen Schuss Munition verschiedener Kaliber für Handfeuerwaffen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus ukrainischen Regierungskreisen. Nicht auf der Liste stehen schwere Waffen wie Panzer oder Artillerie.
Das wird am Donnerstag wichtig
US-Präsident Joe Biden will sich zu Russland und der Ukraine äuÃern. Derweil berät die deutsche AuÃenministerin Annalena Baerbock in Estland mit der politischen Führung des Balten-Staates über Konsequenzen aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In Tallinn sind unter anderem Gespräche von Baerbock mit ihrer Kollegin Eva-Maria Liimets sowie ein Treffen mit Ministerpräsidentin Kaja Kallas geplant. In Washington findet am selben Tag ein internationales Treffen zur Unterstützung der Ukraine mit Teilnahme von Weltbank-Chef David Malpass und IWF-Chefin Georgiewa statt.
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