Panzerfahrzeug in Mariupol am 11. April Bild: Reuters
„Wir räuchern die Maulwürfe in ihren Höhlen aus", sagt der Anführer der „Volksrepublik Donetzk". Soll Mariupol mit Hilfe von Chemiewaffen besiegt werden? Einen Fall gab es möglicherweise schon.
Eduard Basurin ist derzeit häufig im russischen Fernsehen zu sehen. Als einer der Anführer und Sprecher der „Volksrepublik Donezk" stellt er dort regelmäßig die militärische Lage im Donbass aus russischer Sicht dar. Als er am Montag über die Situation in Mariupol sprach, sagte er einen Satz, der aufhorchen ließ. Basurin erläuterte, warum es sinnlos sei, die Stellungen der ukrainischen Verteidiger im Stahlwerk „Asowstal" zu stürmen: Angesichts der massiven Gebäude und der vielen unterirdischen Geschosse verliere man dabei viele eigene Soldaten, während der Gegner kaum Verluste erleide. Daher müsse man das Werk blockieren und die Ein- und Ausgänge finden. „Und dann muss man sich, denke ich, an die chemischen Streitkräfte wenden, und die finden einen Weg, die Maulwürfe in ihren Höhlen auszuräuchern."
Damit kündigte Basurin an, was in der Ukraine und im Westen seit Wochen befürchtet wird: Dass Russland in der Ukraine chemische Waffen einsetzen könnte. Als sei deren Existenz vollkommen selbstverständlich, spricht er von „chemischen Streitkräften". Dabei behauptet die russische Führung, sie habe 2017 die Vernichtung aller chemischen Waffen aus sowjetischer Zeit abgeschlossen und damit ihre Verpflichtungen aus der Konvention gegen chemische Waffen erfüllt. Die Zerstörung der Bestände war vor viereinhalb Jahren auch von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) bestätigt worden. Freilich gab es stets Zweifel daran, dass das der Wirklichkeit entspricht: Sie wurden genährt durch den Einsatz chemischer Waffen in Syrien und die Nervengiftanschläge auf den früheren russischen Agenten Sergej Skripal in Großbritannien 2018 und auf Oppositionsführer Alexej Nawalnyj 2020.
Atemnot und GleichgewichtsstörungenWenige Stunden nach Basurins Ankündigung meldete dann das ukrainische Asow-Regiment am Montagabend aus Mariupol, von einer Drohne aus hätten die Russen ein Gift ausgebracht. Es rufe bei den Betroffenen Atemnot und Gleichgewichtsstörungen hervor. Falls das stimmt, war es kein groß angelegter Angriff. Etwas später sprach der Asow-Kommandeur Andrij Bilezkij in einem auf Telegram veröffentlichten Kurzvideo von drei Verletzten.
In Kiew, Washington und London nimmt man die Berichte jedoch sehr ernst. Die britische Außenministerin Liz Truss veröffentlichte noch in der Nacht auf Twitter eine kurze Erklärung, in der es hieß, man arbeite mit den Partnern daran, die Details zu verifizieren. Am Morgen ergänzte Staatssekretär James Heappey: „Es gibt einige Dinge, die jenseits des Erlaubten liegen." Sollte Moskau Chemiewaffen einsetzen oder eingesetzt haben, lägen "alle Optionen" auf dem Tisch. Der Sprecher des Pentagons sagte, man habe noch keine Beweise, verfolge die Informationen aber sehr genau.
Prorussische Soldaten am 11. April in Mariupol : Bild: ReutersMeldungen von beiden Seiten legen die Vermutung nahe, dass in Mariupol nach der mehr als einen Monat währenden Blockade eine Entscheidung bevorsteht. Russland verkündete am Montag die vollständige Einnahme des Hafens der Stadt. Das wurde von ukrainischer Seite nicht bestätigt. Doch teilte die ukrainische Ombudsfrau Ljudmila Denissowa mit, die russischen Truppen hätten die Besatzung eines zivilen Frachtschiffs verschleppt, das seit dem 21. Februar im Hafen der Stadt festgesessen habe.
In einem dramatischen Appell wandte sich am Montag die 36. Brigade der Marine-Infanterie über Facebook an die Ukrainer. Darin erhoben sie Vorwürfe gegen die militärische Führung: Niemand nehme mehr mit ihnen Kontakt auf, „weil wir abgeschrieben sind". In den Tagen der Blockade hätten sie nur einmal Munition geliefert bekommen. Chancen, die Blockade der Stadt zu durchbrechen, seien nicht genutzt worden.
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„Heute ist vielleicht der letzte Kampf", heißt es in dem Text, da keine Waffen mehr geblieben seien. „Im weiteren bleibt der Faustkampf". Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte veröffentlichte wenig später auf Facebook eine Erklärung, in der es heißt, man sei in Kontakt mit den Verteidigern von Mariupol, und tue „das mögliche und das unmögliche", um Leben zu retten.
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