13. April 2022, aktualisiert 13. April 2022, 12:06 Uhr
Der Bundespräsident ist in Kiew unerwünscht, der Kanzler dagegen willkommen. Die Ukraine hofft auf Gäste, die nicht mit leeren Händen kommen. Die Lage im Ãberblick.
Nach der Absage an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Ukraine Kanzler Olaf Scholz (SPD) nach Kiew eingeladen. âDas haben wir auch so kommuniziert, dass mein Präsident und die Regierung sich darauf sehr freuen würden, wenn der Bundeskanzler Olaf Scholz Kiew besuchtâ, sagte der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, am Dienstagabend auf ProSieben und SAT.1. Bei dem Besuch solle es darum gehen, wie Deutschland der Ukraine mit schweren Waffen im Kampf gegen Russland helfen könne. âDarauf freut sich mein Präsidentâ, sagte Melnyk.
Zuvor hatte die ukrainische Regierung einen Besuch Steinmeiers in der Hauptstadt abgelehnt. Geplant war ein gemeinsamer Solidaritätsbesuch mit den Staatschefs Polens und der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland.
Die vier Staatschefs reisten schlieÃlich allein in die Ukraine. Sie befanden sich am Mittwoch auf dem Weg zu einem Treffen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj, wie der auÃenpolitische Sprecher von Polens Präsident Andrzej Duda, Jakub Kumoch, der Agentur PAP sagte. âUnser Ziel ist es, Präsident Selenskyj und die Verteidiger der Ukraine in einem für das Land entscheidenden Moment zu unterstützen.â
Die faktische Ausladung Steinmeiers stöÃt in Deutschland auf Kritik. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki schlieÃt eine Fahrt von Kanzler Scholz nach Kiew vorerst aus. âIch kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetragenen Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zur unerwünschten Person erklärtâ, sagte Kubicki der Deutschen Presse-Agentur. Er habe jedes Verständnis für die politische Führung der Ukraine. Das Land kämpfe um sein Ãberleben. âAber alles hat auch Grenzen. Ich glaube nicht, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gut beraten war, das Angebot eines solchen Besuchs nicht nur aus Deutschland zurückzuweisen.â
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Der ukrainische Präsidentenberater Olexeij Arestowytsch bat um Verständnis für die Absage. Er kenne die Gründe nicht, doch die Politik und die Entscheidungen von Selenskyj seien sehr ausgewogen, sagte er am Mittwoch im ARD-âMorgenmagazinâ laut Ãbersetzung. âUnser Präsident erwartet den Bundeskanzler, damit er unmittelbar praktische Entscheidungen treffen könnte auch inklusive die Lieferung der Waffen.â Das Schicksal der Stadt Mariupol und anderer Orte hänge von der Lieferung deutscher Waffen ab. Jede Minute zähle. Das Argument, ukrainische Soldaten müssten erst an solchen Waffen ausgebildet werden, wies Arestowytsch zurück. Ukrainische Soldaten könnten sich den Umgang damit binnen drei Tagen selbst aneignen, meinte er.
Der frühere Box-Weltmeister Wladimir Klitschko bedauerte die Absage an Steinmeier und setzt auf eine spätere Reise des Bundespräsidenten. âIch hoffe, dass der Besuch des Bundespräsidenten in Kiew nur aufgeschoben ist und in den kommenden Wochen nachgeholt werden kannâ, sagte der Bruder des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko der âBildâ-Zeitung. âIch halte es für dringend erforderlich, dass wir als Ukraine weiterhin Brücken nach Deutschland bauenâ, betonte Klitschko. âDeutschland ist Partner Nummer eins bei der finanziellen Hilfe für die Ukraine, leistet humanitäre Unterstützung, hilft massiv Flüchtlingen und schickt immer mehr Waffen, auch wenn wir davon mehr brauchenâ, fügte er hinzu.
Biden wirft Putin Völkermord vor
US-Präsident Joe Biden hat Russlands Präsidenten Wladimir Putin angesichts der Gräueltaten in der Ukraine mit deutlichen Worten âVölkermordâ vorgeworfen. âIch habe es Völkermord genannt, denn es wird klarer und klarer, dass Putin einfach versucht, die Idee, überhaupt Ukrainer sein zu können, einfach auszuradierenâ, sagte Biden am Dienstag (Ortszeit) bei einem Besuch im US-Bundesstaat Iowa. Biden hatte am Nachmittag bereits im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg von Völkermord gesprochen - allerdings noch weniger deutlich.
Von mitreisenden Journalistinnen und Journalisten auf seine Aussage vom Nachmittag angesprochen, sagte Biden weiter: âDie Beweise häufen sich. Es sieht anders aus als letzte Woche. Es kommen buchstäblich immer mehr Beweise für die schrecklichen Dinge ans Licht, die die Russen in der Ukraine getan haben.â Letztlich müssten Juristen auf internationaler Ebene entscheiden, ob es sich um Genozid handele oder nicht, aber für ihn sehe es ganz so aus, sagte Biden weiter.
Der US-Präsident hatte zuvor bei einer Rede in Menlo, Iowa, über die steigenden Verbraucherpreise gesprochen und in diesem Zusammenhang gesagt: âIhr Familienbudget, Ihre Möglichkeit zu tanken, nichts davon sollte davon abhängen, ob ein Diktator die halbe Welt entfernt Krieg erklärt und Völkermord begeht.â Die US-Regierung und ihre Verbündeten täten alles, damit Putin seine Energieressourcen nicht als Waffe gegen amerikanische Familien, Familien in Europa und auf der ganzen Welt einsetzen könne, so Biden weiter.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lobte Bidens Worte: âDie Dinge beim Namen zu nennen ist wichtig, wenn man sich gegen das Böse behaupten willâ, schrieb er auf Twitter. Selenskyj hatte den russischen Truppen angesichts von Gräueltaten gegen Zivilisten schon früher Genozid vorgeworfen. Die US-Regierung hatte sich an dieser Stelle bislang zurückgehalten.
Selenskyj schlug zudem einen Austausch des festgenommenen prorussischen Politikers Viktor Medwedtschuk gegen Ukrainer in russischer Kriegsgefangenschaft vor. Der Politiker und Oligarch Medwedtschuk gilt als engster Verbündeter von Kremlchef Putin in der Ukraine. Ihm werden in Kiew Hochverrat und Unterschlagung vorgeworfen. Am Dienstag war er vom ukrainischen Geheimdienst SBU festgenommen worden.
Drängen auf Waffenlieferung in Deutschland
In Deutschland wird weiter darum gerungen, wie die Ukraine stärker unterstützt werden kann - mit schweren Waffen und mit weiteren Sanktionen wie einem Energieembargo gegen Russland. Vizekanzler Habeck sagte am Dienstagabend auf ProSieben und SAT.1 über Waffenlieferungen: âEs nützt nichts wenn wir sagen: In einem Dreivierteljahr kriegt ihr irgendwas. Jetzt muss das Zeug da runter. Und so handeln wir auch.â Die Ukraine fordert unter anderem Kampfpanzer, Artilleriegeschütze und Luftabwehrsysteme.
Auch die drei Ampel-Politiker Michael Roth (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) plädierten nach einem Besuch in der Ukraine für weitere Waffenlieferungen und einen schnellstmöglichen Importstopp für russisches Ãl. Deutschland müsse noch mehr Verantwortung übernehmen, erklärten sie gemeinsam. Die Bundestagsabgeordneten kritisierten aber die Ausladung des Bundespräsidenten durch Kiew.
Steinmeier selbst hatte gesagt, sein Besuch sei offenbar nicht erwünscht. Hintergrund ist wohl Steinmeiers Politik als früherer AuÃenminister, die die Ukraine als russlandfreundlich kritisiert. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei aber nach Kiew eingeladen, machte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk ebenfalls auf ProSieben und SAT.1 deutlich. Bei dem Besuch solle es darum gehen, wie Deutschland der Ukraine mit schweren Waffen helfen könne.
Scholz dankt Unternehmen für Unterstützung
Scholz traf sich am Dienstagabend mit Vertretern der deutschen Wirtschaft und dankte anschlieÃend für die Unterstützung der Sanktionspolitik gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs. âGroÃer Dank an die Wirtschaft für die breite Unterstützungâ, schrieb Scholz auf Twitter. Die Unternehmen hätten aber auf bereits auftretende Einschränkungen in den Lieferketten sowie Schwierigkeiten wegen der hohen Energiepreise hingewiesen.
Sorge herrscht auch, dass der Krieg die ukrainische Landwirtschaft lähmt, die zu den gröÃten Getreideproduzenten der Welt gehört. Die ukrainische Regierung betonte aber in der Nacht, ungeachtet der Kämpfe habe in fast allen Landesteilen die Frühjahrsaussaat begonnen. Ausnahme sei das umkämpfte ostukrainische Gebiet Luhansk, sagte Ministerpräsident Denys Schmyhal.
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