Ukraine hat keine Häfen mehr: Weizen über Rumänien exportieren?


Ausweg für den Handel? Hafen Constanta in Rumänien Bild: AP

Die Ukraine hat keine Häfen mehr seit Odessa von der russischen Schwarzmeerflotte blockiert wird. Über den rumänischen Hafen von Constanța kann sie nur einen Teil ihrer Ein- und Ausfuhren abwickeln. Es fehlt die Infrastruktur.

Als die moldauische Präsidentin Maia Sandu unlängst ihr erstes Interview seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine gab, ging es darin vor allem um die enorme Teuerung, der das wirtschaftliche schwächste Land Europas durch den Krieg im Nachbarland ausgesetzt ist. Die Inflation belastet Moldau auch deshalb, weil kein Staat, gemessen an der Bevölkerungsgröße, mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat. Ein Grund für die Preissteigerungen ist der Ausfall des für die gesamte nördliche Schwarzmeerregion wichtigen Hafens von Odessa in der Ukraine.

Michael Martens Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Wien.

Zwar ist Odessa nicht von Putins Truppen besetzt, aber durch die russische Schwarzmeerflotte blockiert. Zumindest wirtschaftlich läuft das fast auf das Gleiche hinaus. Das trifft nicht allein die Ukraine schwer. Auch für die Republik Moldau, einen Staat ohne Meerzugang, war Odessa das wichtigste Tor zur Welt. Der nächstgelegene Ort für Importe und Ausfuhren zur See ist nun der rumänische Schwarzmeerhafen Constanța. Er ist über den zur Zeit des kommunistischen Diktators Nicolae Ceaușescu 1984 eröffneten Schwarzmeer-Donau-Kanal mit Westeuropa und der Nordsee verbunden. Doch kann Constanța der Region den Verlust Odessas ersetzen?

Dazu sagte Sandu im Gespräch mit der F.A.Z.: „Unsere Unternehmen haben sich bereits nach Constanța umorientiert, aber das bringt längere Transportwege, längere Wartezeiten an der Grenze und damit insgesamt höhere Kosten mit sich. Wir brauchen mehr Brücken nach Rumänien und einen Ausbau der Kapazitäten zur Abwicklung der Grenzformalitäten." Das seien alles Aufgaben, die eigentlich frühere moldauische Regierungen längst hätten erledigen müssen, merkte Sandu an und fragte rhetorisch: „Warum haben wir kein verbundenes Stromnetz, warum sind die Straßenverbindungen so schlecht, warum wurde die Gaspipeline mit Rumänen erst kürzlich fertiggestellt?"

Infrastruktur wurde vernachlässigt

Eine Antwort verkniff sich die Präsidentin. Sie hätte sinngemäß lauten müssen: weil frühere moldauische Regierungen entweder korrupt waren oder nach Moskau blickten, oft beides. Für den Ausbau der Infrastruktur blieb kein Geld, wo sich gewählte Gauner die Taschen vollstopften und allenfalls Verbindungen zu den alten Herren in Moskau pflegten. So gibt es zwischen der moldauischen Hauptstadt Chișinău und Iași, dem Zentrum der rumänischen Region Moldau, bis heute keine Autobahn oder auch nur eine gut ausgebaute Schnellstraße. Die Schienenverbindung ist ebenfalls in schlechtem Zustand, Züge ebenso wie Gleisanlagen.

Die Vernachlässigung der Infrastruktur (allerdings auch auf rumänischer Seite) erschwert nun die Nutzung von Constanța als Ersatz für das einstweilen ausgefallene Odessa. Das könnte ernährungspolitisch sogar weltweit Folgen haben. Ende März teilte die Ukraine mit, man verhandele mit Rumänien über den Export von ukrainischem Weizen, Pflanzenölen und anderen Agrarprodukten via Constanța. Die Ukraine exportierte vor dem russischen Überfall mehr Sonnenblumenöl als jedes andere Land der Erde und gehört zu den größten Weizenexporteuren. Nachdem die Mitteilung aus Kiew öffentlich geworden war, berichteten rumänische Medien, die schlechte Eisenbahnanbindung des wichtigsten rumänischen Hafens könne sich als Flaschenhals erweisen.

F.A.Z. Frühdenker – Der Newsletter für Deutschland

Werktags um 6.30 Uhr

ANMELDEN

Das vom Krieg in der Ukraine geförderte Umsatzwachstum hätte allerdings wohl auch bei bestens ausgebauter Infrastruktur einige Belastungen mit sich gebracht. Im März dieses Jahres ist der Güterumschlag in Constanța nach rumänischen Angaben um 23 Prozent gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres gestiegen. Studien zum Ausbau der Schienenanbindung des Hafens gibt es, aber die Verwirklichung braucht Zeit. Das bestätigte auch Maia Sandu gegenüber der F.A.Z.: „Zum Glück haben wir exzellente Beziehungen zu Rumänien. Viele wichtige Projekte sind auf dem Weg. Aber es wird dauern, bis sie verwirklicht sind."

Annäherung Moldaus an Rumänien?

Ein Grund für den aufwendigen Transport ist die unterschiedliche Spurbreite der Eisenbahnen. Moldau und die Ukraine nutzen als ehemalige Gebiete des Zarenreichs die größere russische Spur, in Rumänien gilt das auch in Westeuropa weitgehend vorherrschende Maß. Auch aus solchen Gründen ist der Export von Weizen aus der Ukraine via Constanța mindestens dreimal so teuer wie die frühere Ausfuhr über Odessa, von der Inflation der Energiepreise ganz abgesehen.

Langfristig könnte eine stärkere Orientierung der moldauischen Exportwirtschaft an den Hafen von Constanța zu einetr noch stärkeren Annäherung Moldaus an Rumänien führen. Eine solche Tendenz gibt es ohnehin sei einigen Jahren. Sie wird unter anderem durch das umfassende Freihandelsabkommen zwischen der EU und Moldau verstärkt, das 2014 unterzeichnet wurde und im Sommer 2016 in Kraft trat.

Da viele Moldauer rumänische Pässe haben, mit denen sie sich in der EU niederlassen können, ist die Bedeutung europäischer Arbeitsmärkte für das Land in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Zwar arbeiten nach moldauischen Angaben noch mehr als 200.000 Moldauerinnen und Moldauer als Gastarbeiter in Russland, doch sinke ihre Zahl, wie auch Maia Sandu bestätigt: „Ihre Bedeutung für unsere Wirtschaft hat sich in den vergangenen fünf Jahren deutlich verringert. Früher kamen bis zu 50 Prozent der Rücküberweisungen aus Russland, nun sind es nur noch zwölf Prozent. Wir sind also weniger verletzlich als noch vor einigen Jahren."

Langfristig könnte der russische Krieg gegen die Ukraine die Tendenz der Abwendung Moldaus von Russland – abgesehen von dem prorussischen Landesteil Transnistrien – also noch verstärken. Eine Folge der russischen Aggression ist ein unbeabsichtigtes Moskauer Förderprogramm zum Ausbau der moldauischen Verkehrsverbindungen nach Rumänien.

Ukraine-Liveblog : Ukraine: Keine Möglichkeit für Fluchtkorridore am Mittwoch

Schutzsuchende aus Ukraine : Die neue Großzügigkeit gegenüber Flüchtlingen

Moldaus Präsidentin Sandu : „Wir haben hier einen Informationskrieg"

Treffen in Berlin : 700 Millionen für ein stabiles Moldau

Weitersagen abbrechen

Lage des Krieges : Aufmarsch im Osten

Russland verlagert seine Truppen nach Osten. In der EU wird neben dem Kohle- auch ein Ölembargo diskutiert. Der Verlauf des Krieges in Karten und Grafiken.

Nehammer in Moskau : Österreichs Kanzler und sein Blick in Putins Augen

Beim persönlichen Gespräch in Moskau wollte Karl Nehammer den russischen Präsidenten „mit den Schrecken des Krieges konfrontieren". Doch nach dem Treffen mit Wladimir Putin ist Österreichs Kanzler „eher pessimistisch".

FAZ Plus Artikel: Russlands Militärstrategien : Sie glaubten an die Doktrin, nicht an einen Angriff

Die Militärwissenschaft hat in Russland eine lange Tradition. Aus den Schriften ihrer prominentesten Vertreter hat der Westen stets versucht, Russlands Strategien zu dechiffrieren – mit wenig Erfolg.

Mützenich verteidigt Steinmeier : Ukraine sollte sich „an Mindestmaß diplomatischer Gepflogenheiten halten"

Bundespräsident Steinmeier ist in der Ukraine derzeit nicht erwünscht. Das wird teils scharf kritisiert. Derweil betont der ukrainische Botschafter Melnyk, Scholz sei in Kiew willkommen.

Aus in der Champions League : Was soll der FC Bayern eigentlich sein?

Nach dem frühen Aus im DFB-Pokal scheitern die Münchner in der Champions League an Außenseiter Villarreal. Und nun? Die Bayern müssen endlich eine Entscheidung treffen.

Leben nach der Pandemie : Was die Strategen von der Post-Omikron-Welt erwarten

Wie viel „Normalität" ist jetzt möglich? Keine, glaubt man den Gelehrten. Über den schwierigen Übergang von der akuten Phase in ein neues „Leben mit dem Virus".

Bei russischem Gaslieferstopp : Forscher warnen vor höchster Inflation seit Bestehen der Bundesrepublik

Die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute senken ihre Wachstumsprognose wegen des Ukrainekriegs. Und sie simulieren, was ein Energieembargo bedeutete. Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut. Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen. Forschungskoordinator*in (m/w/d) Leitung Recruiting und HR Operations (m/w/d) über ifp l Personalberatung Managementdiagnostik Geschäftsführer (m/w/d) Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz Vertriebsleitung als Sprungbrett für die Geschäftsbereichsleitung (m/w/d) über CAPERA Gruppe Personalberatung und -entwicklung

Post a Comment

0 Comments

Abkehr von Putins Blockade-Taktik? : Ukraine meldet russische Angriffe auf Asow-Stahlwerk in Mariupol