Stand: 09:08 Uhr| Lesedauer: 3 Minuten
Die Waffen für Wolodymyr Selenskyj müssen nun sorgfältig ausgewählt werden, meint Jacques Schuster
Quelle: Evgeniy Maloletka/AP/dpa; Claudius Pflug
Die Ukraine kann den Krieg gegen die russische Übermacht nicht gewinnen. Sie kann aber versuchen, ihn zumindest nicht zu verlieren: mit Methoden, wie sie etwa in Vietnam oder Algerien zum Einsatz kamen. Das sollte der Westen bei seinen Waffenlieferungen ab sofort bedenken.
Russlands Großoffensive hat begonnen. Gnadenlos wird die russische Militärmaschine nun über die Ostukraine walzen und Tod und Terror bringen. Lassen sich die Bilder des Schreckens, die seit Wochen verbreitet werden, in ihrer Entsetzlichkeit überhaupt noch übertreffen? Es ist anzunehmen bei einer Armee wie der russischen, die Mordlust und Grausamkeit zu ihren Markenzeichen gemacht hat.
Man gebe sich keiner Illusion hin: Diesen Krieg wird die Ukraine nicht gewinn en. Übermächtig ist Moskaus Schlagkraft – mag seine Invasion noch so tölpelhaft geplant gewesen sein. Selbst wenn Deutschland alle Waffen, die es besitzt, an Kiew liefern würde, wäre die ukrainische Armee nicht in der Lage, die Russen zu besiegen.
Jedenfalls nicht in dem Sinne, wie europäische Königreiche einander in der Vergangenheit besiegt haben, indem sie den Besiegten Demütigungen und Gebietsabtretungen auferlegten oder zumindest Reparationen forderten für die unendlichen Leiden und Schäden, die die Besiegten ihnen einseitig zugefügt haben.
All das ist gegen die Atommacht Moskau mit ihrer gewaltigen konventionellen Feuerkraft nicht drin.
Die russische Offensive im Osten der Ukraine hat begonnenIm Osten der Ukraine hat nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die erwartete Offensive der russischen Streitkräfte begonnen. Zuvor hatte Russland seine Angriffe auch im Westen des Landes wieder verstärkt.
Doch diese Erkenntnis muss für Kiew nicht zwangsläufig bedeuten, den Krieg zu verlieren. Alles, was die Ukrainer erreichen können, ist, dem Schläger das Schlagen zu verleiden und es ihm unmöglich zu machen, ihre eigene konventionell-militärische Unterlegenheit und Schwäche zu ihrer Unterwerfung auszunutzen.
Das mag bescheiden klingen, doch so ist es nicht. Die Vietnamesen haben es erfolgreich vorgemacht, und vor ihnen die Algerier im Krieg gegen Frankreich. Beide folgten den Lehren des Guerillakriegs.
Eine davon ist: wissen, wann man kämpft und wann nicht. Eine zweite: jeder Entscheidung so lange hartnäckig auszuweichen, wie der Gegner stärker bleibt, und keine Entscheidung als endgültig anzunehmen, ehe ein Gegenschlag erfolgreich errungen ist. Eine dritte: Erscheine schwach, wenn du stark bist, und stark, wenn du schwach bist.
Diese Strategie ha t die verwirrende Eigenschaft, dass bei ihr immer wieder die scheinbar schwächere Seite gewinnt und die scheinbare Übermacht sich als Ohnmacht erweist; zur immer erneuten Bestürzung und Blamage der herkömmlich geschulten militärischen und militärpolitischen Fachleute.
Es ist leicht einzusehen, dass dazu viel Zeit, viel harte, schreckliche, bittere Kriegszeit benötigt wird. Und Waffen!
Aber diese müssen klug ausgewählt werden. In der gegenwärtigen Debatte über die Lieferung von schwerem Kriegsmaterial kommt die Frage nach dem strategischen Sinn zu kurz. Ist es sinnvoll, Leopard-Panzer zu liefern, wenn die Ukrainer offene Panzerschlachten gegen die Russen nur verlieren können? Wäre es nicht wirksamer, ihnen die besten Panzerabwehrraketen zukommen zu lassen, über die der Westen verfügt? Im Jom-Kippur-Krieg 1973 wäre es den Ägyptern fast gelungen, die hochmodernen israelischen Panzertruppen durch Raketen aufzureiben. Warum sollte Ähnliches nicht auch h eute in der Ukraine möglich sein? Ist nicht eine der Lehren aus dem ukrainischen Raketenangriff auf das russische Kriegsschiff „Moskwa", dass zu seiner Versenkung eben kein eigenes Kriegsschiff in die Schlacht ziehen musste?
In diesem Fall wandten die Ukrainer die Strategie des Guerillakriegs an. Sie wird nicht zur ukrainischen Siegerparade in Moskau führen, aber hoffentlich dazu, dem Schläger das Schlagen zu verleiden.
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