Flugzeuge in der Ukraine müssen wegen des Krieges am Boden bleiben (Archivbild)


Piotr Ikanowicz, Finanzvorstand von Ukraine international, über den Zustand der Flugbranche nach zwei Monaten Krieg, den Alltag einer Fluglinie im Krieg und die düsteren Aussichten für einen Neuanfang nach einem Frieden.

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  • Piotr Ikanowicz, 61, ist seit 2014 Finanzvorstand von Ukraine international, der größten Fluglinie des Landes. Davor war der gebürtige Pole Finanzchef bei der polnischen Airline Lot und Malev aus Ungarn, sowie bei Leasinggesellschaften tätig.

    Herr Ikanowicz, Sie waren bis zum Anfang des Ukrainekriegs in Kiew. Wie haben Sie den Beginn des Kriegs erlebt?Piotr Ikanowicz: Wie fast alle im Land war ich zwar beunruhigt über die wachsenden Spannungen, doch mit einem Krieg habe ich nicht gerechnet.

    Was haben Sie gemacht am 24. Februar, dem Tag des Kriegsbeginns?Ich hatte bereits einen Tag davor ein ungutes Gefühl, Also habe ich meinen Koffer gepackt. Kurz nach dem Aufstehen am 24. Februar dann explodierte eine Rakete in der Nähe meiner Wohnung. Etwas aufgewühlt fuhr mit der U-Bahn zum Büro, wo wir im Vorstand ein Krisentreffen hatten. Dann habe ich beschlossen, zu meiner Familie nach Polen zu reisen. Als Ausländer konnte ich das im Gegensatz zu meinen Kollegen aus der Ukraine tun. Sonst bin ich fast jedes Wochenende nach Hause geflogen und war in weniger als zwei Stunden da. Diesmal war ich fast 20 Stunden unterwegs. Weil seit dem Morgen des 24. Februar ein absolutes Flugverbot herrschte, habe ich den Zug nach Lwiw genommen. Das war schon nicht ganz einfach wegen der vielen anderen Menschen, die rauswollten. Dann bin ich mit dem Auto zur Grenze gefahren und schließlich zu Fuß nach Polen.

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    Wie ist der aktuelle Zustand der Luftfahrt in der Ukraine?Das hängt davon ab, welchen Teil der Branche Sie ansehen.

    Dann beginnen wir bei den Fluglinien.Die Flotten sind noch fast komplett verfügbar. Kurz bevor der Luftraum gesperrt wurde, konnten die knapp zehn Fluglinien des Landes noch einen großen Teil ihrer Flotte ins Ausland bringen. Viele Maschinen waren bereits da, weil Sie am Vortag dort gelandet waren und wegen des Kriegs nicht zurückkonnten. Auch von uns sind meisten Maschinen in der EU. Aber neun sind noch in Kiew oder Odessa, weil sie entweder in der Wartung steckten oder Morgen des 24. Februar starten sollten. Die sind alle noch intakt.

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    Wie ist der Zustand der Flughäfen?Das ist unterschiedlich. Einige sind zerstört, vor allem die teilweise oder auch ganz militärisch genutzten. Dazu zählt der Hostomel Airport bei Kiew, wo das weltgrößte Flugzeug Antonow 225 bei einem Angriff komplett zerstört wurde. Besonders tragisch ist die Lage des Flughafens von Cherson am Schwarzen Meer. Der war gerade für viele Millionen renoviert worden und ist jetzt weitgehend eine Ruine. Zuerst hat die russische Armee ihn angegriffen und eingenommen - und dann die Streitkräfte der Ukraine als sie die russische Armee vertreiben wollten.

    von Rüdiger Kiani-Kreß, Thomas Stölzel

    Welche Flughäfen sind noch intakt?Ein paar der großen Airports sind noch funktionsfähig aber gesperrt, weil sie das Militär nutzt. Das alles sind gute Nachrichten, weil das einen Neuanfang nach dem Krieg erleichtert. Das gilt etwa für Boryspil, den Hauptflughafen von Kiew, wo wir unser Drehkreuz hatten. Da können unsere Mitarbeiter hin, etwa unsere Wartungstechniker. Aber sie müssen sich 48 Stunden vorher anmelden und dürfen keine Handys oder Fotoapparate mitnehmen. Auch ein großer Teil der kleine Flughäfen besonders die im Westen lässt sich stand heute wahrscheinlich relativ rasch wieder instand setzten.

    Wie steht es um die Infrastruktur wie die Technik zur Luftraumüberwachung?Radar, Navigationshilfen oder die Anflugsysteme sind alle außer Betrieb. Wie gut da deren Zustand ist, wissen wir erst, wenn wir nach dem Krieg eine gründliche Bestandsaufnahme machen können. Ich fürchte, da ist vieles zerstört oder zumindest nicht mehr funktionsfähig.

    Wie sieht denn Ihr Alltag als Manager aus?Wir haben jeden Morgen um zehn Uhr Kiewer Zeit eine Videokonferenz mit dem erweiterten Vorstand. Den Rest des Tages rede ich meist mit Geschäftspartnern, etwa mit Leasingfirmen oder Versicherungen, wie wir das Unternehmen in Bereitschaft halten. Sie alle sind sehr entgegenkommend und verstehen, dass wir unsere Verpflichtungen erfüllen, wenn wir überleben. Dafür kann ich mich nur bedanken.

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    Ist das nicht frustrierend, wenn das Unternehmen ansonsten praktisch stillsteht?Wir stehen nicht still, sondern versuchen den Betrieb so gut es geht aufrecht zu erhalten. Wir haben noch Hilfsflüge und anfangs gab es auch Rückholflüge für unsere Bürger, etwa für die gut 20.000 Urlauber, die bei Kriegsausbruch in Ägypten waren. Dazu arbeiten wir daran, unsere Flugzeuge mit Crew an andere Linien zu vermieten. Aber insgesamt sind das nur ein, zwei Prozent des Verkehrs, den wir vor der Krise hatten. Doch das ist gut, weil es den Zusammenhalt des Unternehmens stärkt und uns bereithält.

    Was motiviert Sie und ihre Mitarbeiter?Wir sind in einer privilegierten Rolle, weil wir anders als andere Unternehmen Service über Grenzen hinweg anbieten können. Dazu haben wir schon viele Krisen erfolgreich überstanden. 2014 verloren wir nach dem Einmarsch Russlands auf die Krim und Teile der Donbass-Region mit den dortigen Airports Donetsk und Simferopol die zwei größten Flughäfen im Land nach Kiew. Gleichzeitig durften wir den russischen Luftraum nicht mehr nutzen. Das kostete nicht nur den russischen Markt, wo wir allein nach Moskau sieben Flüge pro Tag hatten. Wir mussten, wie jetzt viele westliche Airlines gewaltige Umwege fliegen in Richtung Astana oder Peking. Am 8. Januar 2020 wurde in Teheran eines unserer Flugzeuge abgeschossen mit 178 Menschen an Bord. Und dann kam Covid. Trotzdem schafften wir 2021 einen Nettogewinn. Nur hat das wegen der Krise keiner mitbekommen.

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