Russland will im Ukraine-Krieg nun vor allem auf die „Befreiung im Donbass“ setzen. Wie sind die neuen Worte aus Moskau einzuordnen?


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  • Erstellt: 29.03.2022Aktualisiert: 30.03.2022, 09:19 Uhr

    Von: Andreas Schmid

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    Russland will im Ukraine-Krieg nun vor allem auf die „Befreiung im Donbass“ setzen. Wie sind die neuen Worte aus Moskau einzuordnen?

    Moskau - Nach mehr als 30 Tagen Ukraine-Krieg scheint Russland seine Militärstrategie verändert zu haben. Zumindest propagiert das der Kreml. Aus Moskau hieß es am Freitag (25. März), die Armee werde sich künftig auf die „Befreiung“ der Donbass-Region in der Ostukraine konzentrieren. Was steckt dahinter? Und wie ist dieser mutmaßlich neue Kurs einzuordnen? Die wichtigsten Antworten im Überblick.

    Ukraine-Krieg: Warum ändert Russland seine Strategie?

    In der Grenzregion Donbass nahm der Ukraine-Konflikt seinen Lauf. Seit 2014 gibt es in im Donbass Gefechte. Die Region ist wichtig für Russland, von Moskau unterstützte Separatisten kämpfen dort gegen ukrainische Regierungstruppen. Wie der russische Vize-Generalstabschef Sergej Rudskoj nun in einer langen Rede sagte, lag der Kriegsfokus daher seit jeher auf dem Donbass.

    Man habe aber dennoch die gesamte Ukraine angegriffen, um „die militärische Infrastruktur, die Ausrüstung und das Personal der ukrainischen Streitkräfte zu schädigen, damit sie keine Möglichkeit haben, ihre Truppen im Donbass zu verstärken, bis die russische Armee die Volksrepubliken Donezk und Luhansk vollständig befreit.“ Jene Befreiung sei das „Hauptziel“ des Krieges.

    Wladimir Putin, Präsident von Russland, leitet eine Sitzung des Sicherheitsrates per Videokonferenz in seiner Residenz in Nowo-Ogarjowo außerhalb von Moskau. (Archiv) © Mikhail Klimentyev/dpa

    Ferner würden Waffen an die Separatistengebiete geliefert werden. „Einheiten der russischen Streitkräfte führen gemeinsam mit der Volksmiliz der Donezker Volksrepublik eine Offensive zur Befreiung von Siedlungen westlich von Donezk durch.“

    Ukraine-Krieg: Zieht sich Russland aus dem Westen des Landes zurück?

    Die Grenzregion Donbass liegt im Osten der Ukraine, nahe Russland. Fernab des Ostens meldete zuletzt wiederum die Ukraine Erfolge, etwa in der Hauptstadt Kiew oder im schwer vom Krieg gezeichneten Charkiw. Ein direkter Einmarsch in Kiew, wie es im Laufe des Krieges bereits befürchtet wurde, scheint aktuell zumindest kein unmittelbar drohendes Szenario.

    Ein Rückzug russischer Truppen ist mit der neuen Strategie allerdings wohl dennoch nicht gemeint. Das zeigen aktuelle Angriffe in der ganzen Ukraine.

    Tatsächlich richteten sich die russischen Attacken am Wochenende auch gegen Ziele im Zentrum und im Westen der Landes. In Lwiw unweit der polnischen Grenze wurde unter anderem ein Treibstofflager attackiert. Im Norden der Ukraine übernahm die russische Armee nach ukrainischen Angaben die Kontrolle über die Kleinstadt Slawutytsch, den Wohnort des Personals der Atomruine von Tschernobyl. Heißt: Der Krieg spielt sich nach wie vor nahezu im ganzen Land ab. Russlands Ex-Präsident Dmitrij Medwedew drohte mit der Nutzung von Atomwaffen.

    Feuer steigt nach russischen Raketeneinschlägen aus einem Treibstofflager der westukrainischen Großstadt Lwiw (auch Lemberg genannt). © Cover Images/Imago Ukraine-Krieg: Wie denkt die Ukraine über den neuen Russland-Kurs?

    Die Ukraine reagierte etwas verwundert über die neuen Töne aus Moskau - und interpretierte sie freilich auf ihre Sichtweise. Laut dem Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, sei Russland mit dem Versuch „gescheitert, Kiew einzunehmen und die ukrainische Regierung zu stürzen“. Was Russland nun plane? Putin ändere die Strategie - und würde nun eine Teilung der Ukraine wie in Korea schaffen wollen.

    „Es gib Gründe anzunehmen, dass er eine Trennungslinie schaffen will zwischen den besetzten und den nicht besetzten Gebieten unseres Landes - ein Versuch, Süd- und Nordkorea in der Ukraine zu schaffen“, erklärte der Chef des Militärgeheimdienstes mit Blick auf Russlands Präsident Wladimir Putin.

    Ukraine-Krieg: Wie ist der neue Militär-Kurs von Russland einzuordnen?

    Es gibt durchaus Zweifel, inwiefern die russischen Worte ernst zunehmen sind. US-Präsident Joe Biden ist sich „nicht sicher“, ob die Russen ihre Strategie in der Ukraine geändert hätten, sagte er am Wochenende.

    Bisher hat Russland zwei größere Städte unter Kontrolle. Cherson und Mariupol. Darüber hinaus schien der Angriffskrieg jedoch zu stagnieren. Der Vormarsch russischer Truppen stockte. Mit dem nun neu ausgerufenen Ziel könnte sich der Kreml eine Argumentationstür offen halten. Konkret: Ist der ukrainische Widerstand zu groß, kann sich Russland nun wohl leichter zurückziehen. Dann könnte der Kreml propagieren, dass Ziel sei ohnehin nur der Donbass gewesen. Zusätzliche ukrainische Städte einzunehmen oder Kiew zu erobern, wollte man nicht. Dann würde Putin wohl auch etwas unbeschadeter aus einem möglichen Rückzug gehen.

    Ukraine-Krieg: Neue Russland-Strategie nur ein rhetorisches Manöver?

    Gleichzeitig ließ Rudskoj in seiner Rede einige Optionen offen. Ziel sei nach wie vor auch, die Ukraine zu entnazifieren, sagte der Vize-Generalstabschef. Er sprach von einer „militärischen Sonderaktion zur Befreiung der Ukraine vom Nationalsozialismus.“ Das heißt wiederum: Russland sieht nach wie vor die Legitimation, die Ukraine auch fernab des Donbass militärisch anzugreifen.

    Zudem nutze Russland jene Rede freilich auch zu Propagandazwecken. So laufe der Krieg streng nach Plan. Man wolle die Ukraine befreien, es sei „unmöglich gewesen, das mit politischen Maßnahmen zu erreichen.“ Deshalb habe man am 24. Februar mit der Invasion, die in Russland „Spezialoperation“ genannt wird, begonnen. „Der Verlauf der Operation bestätigte die Richtigkeit dieser Entscheidung“. (Hier können Sie die Rede auf englisch nachlesen). Zudem war Russland der Ukraine erneut einen Genozid vor - ein nicht neues Argument im Repertoire russischer Kriegspropaganda.

    Rudskoj nutzte seine Rede auch, um Russlands Kriegserfolge aufzuzählen. Interessant: Die eigenen Verluste bezifferte er auf 1.351. Die Ukraine wiederum spricht von 16.000 getöteten russischen Soldaten. Die Nato geht von 7000 bis 15.000 Toten aus. Auf ukrainischer Seite seien laut Kreml 14.000 Soldaten getötet worden. Die Ukraine selbst hatte zuletzt am 12. März von rund 1300 getöteten Soldaten in den eigenen Reihen gesprochen. Die Zahlen sind nicht überprüfbar.

    Ukraine-Krieg: Verändert die neue Strategie die Verhandlungen?

    In den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland ging es bislang vor allem um einen Verzicht der Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft sowie um Sicherheitsgarantien. Es gab bereits mehrere Verhandlungsrunden - doch ein Durchbruch samt Kriegsende konnte bislang nicht erzielt werden.

    Der russische Chefunterhändler Medinski erklärte am Freitag, die Verhandlungen kämen in den zentralen Fragen nicht voran. „In zweitrangigen Punkten stimmen die Positionen überein. Aber in den politischen Hauptfragen kommen wir nicht voran.“ Der ukrainische Außenminister Kuleba sagte: „Der Verhandlungsprozess ist sehr schwer.“

    Zuletzt schien die Einigung näher zu kommen. Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte versichert, dass Russland und die Ukraine sich offenbar in vier von sechs Verhandlungspunkten einig seien: Den Verzicht der Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft, die Verwendung der russischen Sprache in der Ukraine, Abrüstung und Sicherheitsgarantien. Kuleba betonte nun: „Es gibt keinen Konsens mit Russland in den vier Punkten.“

    Der nun mutmaßliche Donbass-Fokus könnte Bewegung in die Verhandlungen bringen. Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte zuletzt, dass ein Sieg für die Ukraine darin bestünde, wenn sich die russischen Truppen in die von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebiete im Osten „zurückziehen“. „Von dort aus werden wir versuchen, die Donbass-Frage zu lösen“, sagte Selenskyj, der betonte: „Wir verstehen, dass es unmöglich ist, das Gebiet vollständig zu befreien.“ Eine Rückeroberung der Gebiete würde „den Dritten Weltkrieg“ auslösen. (as)

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