Ukraine, Impfpflicht, Tempolimit: Wo die Ampel uneins ist


Nach Gesprächen ist vor Gesprächen: Scholz am 19. April in Berlin Bild: EPA

Ukraine, Impfpflicht, Tempolimit: Von einer existentiellen Krise ist die Ampel zwar noch weit entfernt. Aber in dem einst überhöhten Bündnis knirscht es gewaltig.

Sigmar Gabriel ist nicht als Spezialist fürs Wogenglätten in die Geschichte der SPD eingegangen. Insofern fiel es auf, als der einstige Parteivorsitzende am Mittwoch zu einer klareren Kommunikation darüber aufrief, wie die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Angreifer von NATO-Staaten und also auch von Deutschland unterstützt werden könne. Dann würde sich „möglicherweise auch die Debatte innerhalb der Koalition beruhigen", sagte Gabriel im Deutschlandfunk.

Der Streit, den Gabriel meint, nimmt Fahrt auf. Fast im Tagesrhythmus zieht der zu den Grünen ge­hörende Vorsitzende des Europa­ausschusses, Anton Hofreiter, im Zusammenhang mit militärischer Hilfe für die Ukraine die Führungsqualität des Kanzlers in Zweifel. Und dabei bleibt es nicht. Auf dem Umweg über Kritik an der prominenten sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig wegen ihrer Rolle beim Bau von Nord ­Stream 2 nimmt inzwischen auch der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour die SPD aufs Korn.

Was Hofreiter bei den Grünen, ist bei der FDP die gerade in diesen Wochen wichtige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Auch sie zieht im Zusammenhang mit den Waffenlieferungen für die Ukraine die Führungsstärke von Scholz in Zweifel. Dass ihr die Führung ihrer Partei, etwa Finanzminister Lindner, oder der Fraktion machtvoll in den Arm fielen, ist nicht zu erkennen.

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Und Scholz? Lässt es laufen. Noch am Dienstagabend, nach der Besprechung mit wichtigen NATO-Partnern und der EU über Unterstützung für die Ukraine, tastete er sich in einer Pressekonferenz unsicher durch seinen Sprechzettel. Man musste ein wenig Übung und viel guten Willen mitbringen, um zu verstehen, was er über die Lieferung schwerer Waffen sagen wollte: Diejenigen Staaten, die der Ukraine schnell Einsetzbares anbieten können, dürfen auf deutsche Unterstützung rechnen. Berlin selbst bleibt zurückhaltend.

Erst ein großer Auftritt

Ein Mal hat Olaf Scholz bislang einen großen Auftritt als Kanzler gehabt. Das war bei seiner Zeitenwende-Rede vor dem Bundestag drei Tage nach Kriegsbeginn, als er Waffenlieferungen in die Ukraine und 100 Milliarden für die deutsche Aufrüstung versprach. Die Regierungserklärung vom 27. Februar schien vom selben Kaliber wie das Versprechen der „uneingeschränkten Solidarität", das sein sozialdemokratischer Vorgänger Schröder Amerika gleich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegeben hatte. Es mündete damals in den längsten Bundeswehreinsatz aller Zeiten. Aber von der Wucht des Scholz-Auftritts im Februar ist wenig übrig geblieben. Dabei ist dem Bundeskanzler hinsichtlich der Quantität seiner Präsenz kein Vorwurf zu machen. Seine Vorgängerin Angela Merkel hatte in den ersten vier Monaten ihrer Amtszeit nur zweimal vor dem Bundestag gesprochen, Scholz kommt jetzt schon auf vier Reden. Er lässt sich befragen und reist mit Medienbegle itung durch die Welt.

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Doch von Tag zu Tag wird immer deutlicher, dass der grüne Vizekanzler Habeck die Möglichkeiten und Grenzen des Regierungshandelns besser erklären kann als der Regierungschef. Scholz erweckt öffentlich wie intern gerne den Eindruck, er habe einen genauen Plan, was zu machen sei, man solle ihn nur schalten und walten lassen und mit unnötigen Fragen verschonen. Genau wie Merkel.

Der Ukraine schwere Waffen im Kampf gegen Russland zu liefern ist sicherlich die heikelste Frage für den Kanzler, dessen Parteifreunde zu einem Gutteil skeptisch gegenüber einem harten Umgang mit Moskau sind. Doch die Zögerlichkeit des Kanzlers erweckt auch auf anderen Feldern das Bild einer uneinigen Koalition, in der die Unruhe wächst.

Der Kanzler traut sich nicht

Wäre nicht Krieg, wäre Scholz das Scheitern der allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus viel stärker angelastet worden, als es der Fall war. Auch auf diesem Feld war seine Kommunikation problematisch. Scholz war für eine Impfpflicht, wollte aber aus Angst vor dem Verfehlen einer eigenen Mehrheit nicht mit aller Kraft und mit einem Gesetzentwurf der Regierung dafür eintreten. Am Ende brachte der Mittelweg den „Tod" der Impfpflicht. Und selbst in Zeiten, in denen jeder eingesparte Liter Kraftstoff die Abhängigkeit von Russland verringern könnte, traut Scholz sich nicht zu, ein Tempolimit gegen die FDP durchzusetzen.

Der Bundeskanzler ist lange genug in der Politik, um sich zu erinnern, wie die Regierung Schröder in ihrem ersten halben Jahr mit Lafontaine-Rücktritt und Kosovo-Sonderparteitag der Grünen gleich zwei existenzielle Krisen überstand. Vergleichbares möchte er nicht erleben, und noch ist die Ampel von solchen Erschütterungen weit entfernt. Die Flitterwochen des anfangs so verklärten Bündnisses sind allerdings vorbei.

Eckart Lohse Leiter der Parlamentsredaktion in Berlin. Weitersagen abbrechen

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