Ostermärsche: Friedensbewegung über Ukraine-Krieg gespalten


Gegen Putin und gegen die NATO: Teilnehmer eines „Ostermarschs" am Donnerstag in Erfurt Bild: dpa

Die deutsche Friedensbewegung tut sich schwer mit einer klaren Haltung zum russischen Angriffskrieg. In Berlin formiert sich deshalb nun ein alternativer Ostermarsch. Er will die Opfer der russischen Invasion in den Blick nehmen.

„Frieden schaffen ohne Waffen": So lautet eine der Kernforderungen der Friedensbewegung und ihrer alljährlichen Ostermärsche. Manchen erscheint diese Botschaft in Zeiten des russischen Angriffskriegs so aktuell wie lange nicht mehr. Für an­dere klingt sie wie Hohn, wie eine Aufforderung an die Ukrainer, sich Putins An­griffskrieg widerstandslos zu unterwerfen.

„Wenn Ostermarschierer jetzt Ab­rüstung fordern und in Interviews vorschlagen, die Ukraine ,gewaltfrei zu unterstützen', spucken sie den Verteidigern Kiews und Charkiws ins Gesicht", schrieb der FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff in einem Gastbeitrag für die „Zeit". Die „Ostermarschierer" seien „die fünfte Kolonne Putins".

„Einfach unterirdisch" findet das Kristian Golla. Er gehört zum Bonner „Netzwerk Friedenskooperative", einem Dachverband, der einen Überblick über die vielen lokal und regional organisierten Os­termärsche verschafft. In den allermeisten Aufrufen werde der russische Prä­sident klar als Aggressor benannt. 124 Einträge gibt es in seiner Veranstaltungsdatenbank. Einige Demonstrationen fanden schon am Gründonnerstag und Karfreitag statt, die meisten sind für diesen Samstag angekündigt. Sie richten sich auch gegen das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr.

„Damit ist der Ukraine nicht geholfen"

Ostermärsche gibt es seit den Sechzigerjahren in der Bundesrepublik, zeitweise hatten sie hunderttausende Teilnehmer. Ob sie vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs nun wieder mehr Zulauf bekommen, kann Golla nur schwer einschätzen. „Ich bin mir unsicher, ob die Bilder von Butscha eher hilflos machen oder mobili­sieren", sagt er. Aber wie passen die Aufnahmen ermordeter Zivilisten zur Forderung, keine Waffen in die Ukraine zu liefern?

Generell seien Friedensgruppen der Ansicht, dass Waffenlieferungen nichts besser machten, Konflikte nur verlängerten, so Golla. Waffen erreichten oft das Ge­genteil von dem, was doch alle wollten, „dass die Ballerei aufhört, man diese schlimmen Bilder nicht mehr sieht". Putin, der ja ohnehin das Völkerrecht mit Füßen trete, sehe Waffenlieferungen vielleicht als Eskalation. „Und damit ist der Ukraine nicht geholfen." Es müsse vielmehr verhandelt statt gekämpft werden.

„Selbstverständlich verlängern Waffen einen Konflikt", sagt der Politikwissenschaftler Ulrich Kühn. „Das ist eine Binsenweisheit. Es sollte jedoch im Ermessen desjenigen sein, der angegriffen wird, ob er sich mit Waffen verteidigen will", so Kühn gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Eine solche Verteidigung sei „absolut vertretbar und im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen. Insofern verpuffen hier meiner Meinung nach die klassischen Slogans der deutschen Friedensbewegung."

Krieg in der Ukraine

Aktuelle Informationen, Grafiken und Bilder zum Angriff auf die Ukraine finden Sie auf unserer Sonderseite

ZUR SONDERSEITE

Aus Kühns Sicht erklärt das auch, warum Friedenskundgebungen derzeit nicht den Zulauf haben, „den man angesichts eines Krieges in Europa vielleicht er­warten würde". Kühn ist Leiter des Forschungsbereichs Rüstungskontrolle und Neue Technologien am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Er vermutet, dass sich eine neue, pragmatischere Friedens­bewegung rund um die Fridays-for-Future-Demonstranten herausbilden könnte; eine Friedensbewegung, die Putins Angriffskrieg deutlich benenne.

In Berlin ist für diesen Samstag ein alternativer Ostermarsch angekündigt. Gruppen wie „Adopt a Revolution", die sich für die syrische Zivilgesellschaft einsetzt, und die „Allianz Ukrainischer Organisationen" haben zu ihrem eigenen Friedensmarsch aufgerufen. Das Motto: „Stoppt russische Kriege – für Freiheit und Gerechtigkeit".

Frieden ja, Pazifismus nein

„Wir wollen nicht mit Autokratenverstehern zusammen demonstrieren", sagt Ferdinand Dürr, ein Sprecher von „Adopt a Revolution". Die Ostermarsch-Bewegung suche die Schuld für Konflikte traditionell bei NATO und Bundeswehr und er­kenne nicht, dass Kriegsgefahr vor allem von Autokratien und Diktaturen ausgehe. Im Aufruf zum Ostermarsch in Berlin werde der russische Angriff auf die Ukraine mit keinem Wort erwähnt. Die traditionelle Friedensbewegung richte ihren Blick zu sehr auf Staaten, Bündnisse, Einflusssphären und verliere dabei die Opfer von Kriegen aus dem Blick – etwa die Menschen, die in Syrien und der Ukraine unter Putins Bombenterror leiden.

„Es gibt Leute, die es wirklich gut meinen, die Frieden für uns wollen", sagt auch Oleksandra Keudel von der „Allianz Ukrainischer Organisationen". „Aber der Frieden muss mit Freiheit und Demokratie kommen, und das ist mit Russland nicht möglich. Keine Ukrainerin und kein Ukrainer ist sicher, wenn Russland ge­winnt."

Deshalb führten Forderungen nach Neutralität oder Kompromissbereitschaft in die Irre. Stattdessen müsse den Ukrainern mit allen Mitteln geholfen werden. „Sonst leben wir in einer Welt, in der Gewalt statt Menschlichkeit herrscht."

Was in der Nacht geschah : Selenskyj spricht von 20.000 russischen Gefallenen

Offener Brief an Steinmeier : Halten Sie Wort!

Friedrich Merz im Interview : „Scholz gefährdet den Zusammenhalt der Staatengemeinschaft"

Pazifismus : Um des lieben Friedens willen?

Kristian Golla sagt, der Berliner Ostermarsch, der in seinem Aufruf den russischen Angriff nicht erwähnt und russische Fahnen erlaubt, sei nicht repräsentativ für die Friedensbewegung. Das gelte allerdings umso mehr für Gruppen, die Waffenlie­ferungen forderten. Friedrich Dürr, Sprecher des alternativen Ostermarschs in Berlin, sagt dazu: „Wir gehören zur Friedensbewegung." Aber eine pazifistische Organisation – das seien sie nicht.

Weitersagen abbrechen

Was in der Nacht geschah : Das Flaggschiff der Russen im Schwarzen Meer ist gesunken

Der Raketenkreuzer „Moskwa" ist gesunken. Die CIA warnt davor, ein verzweifelter Putin könnte nun taktische Atomwaffen einsetzen. Der Überblick aus der Nacht.

Was in der Nacht geschah : Selenskyj spricht von 20.000 russischen Gefallenen

Nach dem Rückzug Russlands aus Teilen der Ukraine wird unter großen Mühen die Infrastruktur wieder hergestellt. Andere Städte liegen weiter unter Beschuss. Präsident Selenskyj nennt Zahlen toter Soldaten, die von russischen Angaben stark abweichen.

FAZ Plus Artikel: Die Linke und Russland : In alter Freundschaft

Nach dem Einmarsch in die Ukraine hat die Führung der Linken den Angriffskrieg scharf verurteilt. Doch nach und nach melden sich die Russland-Freunde wieder.

Der Fall Anne Spiegel : Zwischen allen Aufgaben

Viele junge Politikerinnen mit Kindern empört der Rücktritt von Anne Spiegel. Aber geht es wirklich um die Vereinbarkeit von Familie und Politik?

Das Beste lesen mit F+ : Milliardenschweres Erdgas und eine dramatische Ehe

Mit unserem Angebot F+ erhalten Sie jeden Monat Zugriff auf mehr als 800 exklusive Beiträge auf FAZ.NET. Unter anderem auf diese beliebtesten Stücke der Woche.

Hundert Jahre Rapallo : Osteuropa zahlt die Zeche

Das Fiasko der deutschen Russlandpolitik erneuert das Trauma des Vertrags von Rapallo, der vor hundert Jahren zwischen der Weimarer Republik und Sowjetrussland geschlossen wurde. Ein Gastbeitrag.

Lebensmittelpreise : „Ein Döner müsste eigentlich 7,30 Euro kosten"

Die Preissteigerungen schlagen nun auch bei Imbissen durch. Döner durchbrechen selbst in Berlin die Fünf-Euro-Grenze. Und eine Zutat ist hier genauso knapp wie in Supermärkten. Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut. Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen. Fachärztin / Facharzt für Hygiene- und Umweltmedizin oder öffentliches Gesundheitswesen / Public Health (m/w/d) Geschäftsführer (m/w/d) über ifp - Personalberatung Managementdiagnostik Baden-Württembergische Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte Projektmitarbeiter*in im Bereich Soziale Stadterneuerung Magistrat der Universitätsstadt Marburg

Post a Comment

0 Comments

Abkehr von Putins Blockade-Taktik? : Ukraine meldet russische Angriffe auf Asow-Stahlwerk in Mariupol